2012

author
Stefan Zweig
review

 Erinnerungen eines Europäers lautet der Untertitel diese Autobiographie, die der österreichische Schriftsteller 1941, kurz vor seinem Freitod im brasilianischen Exil, fertigstellte. Mein lieber Freund Jan gab mir das Buch, das ich mir nicht selbst gekauft hätte, aber welches mir gut tat.

 
Zweig erzählt immer von sich zuerst und dann von seiner Zeit um ihn herum. Auch wenn er aus der subjektiven Sicht von der Zeit erzählt und ich sicherlich nicht genauso ein Mensch bin wie Zweig war, gefielen mir diese allgemeinen Beschreibungen immer recht gut. Ich glaube, das funktioniert, weil Zweig kein besonders politisch aktiver Mensch war und auch kulturell wenig aneckte mit seiner Arbeit. Er war begeisterter Europäer und vehementer Pazifist. Er reiste viel und hatte viele Freunde in der europäischen Hochkultur. Eigentlich ein guter Mix für einen Erzähler dieser tumulten 60 Jahre (1881-1941).
 
Wovon erzählt Zweig nun? Er beginnt mit seiner seiner Jugendzeit, also im Grunde dem spießigen Wiener Bürgertum der Jahrhundertwende. Dann die Aufbruchsstimmung vor dem ersten Weltkrieg und wie man ihn durchlebte (Zweig selbst war nicht kriegstauglich, aber einmal fuhr er mit dem Zug an die Front und erzählt uns vom Widerspruch der schrecklichen Front und der nichts ahnenden Großstadt). Die Zwanziger Jahre sind für ihn arbeitsreich und für Österreich entbehrungsreich. Allerdings zeigt sich, wie die jüngeren Generationen komplett anders als die vor der Jahrhundertwende ein Selbstbewusstsein entwickeln. Ich stelle besonders die kurze Erfahrung Zweigs in Sowjetrussland heraus, die ihn verwirrt zurücklässt, besonders aufgrund eines anonymen Briefs, der ihn warnt, niemandem zu glauben (und den Brief zu verbrennen). Die Dreißiger Jahre sind geprägt von Verwaltung von Zweigs persönlichem Erfolg und sich ankündigender Unterdrückung durch Nazideutschland (oder Hitler, den Zweig oft persönlich als übel darstellt, als ob er nicht glauben mag, dass ohne ihn Ähnliches passiert wäre). Das Ende bildet die Aufgabe allen irdischen Besitzes und die Flucht, die er als langsame Entmenschlichung beschreibt. Interessant hier der Vergleich von Europa am Anfang seines Lebens, als man Grenzen ohne Bedenken überschritt (er sagt, wie den Meridian in Greenwich), und der später immer größeren Verwaltung von Identitäten mit Pässen, Anträgen und Formularen - mit der wir es heute noch zu tun haben und in der wir das Schengen-Abkommen als grosse Errungenschaft erfühlen. Zweig endet mit dem Beginn des zweiten Weltkrieges, den er in Bath (England) erlebt, und welcher seinen Status als staatenloser und in England gar potentiell feindlicher Flüchtling zementiert.
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